Die Sicherheitslage zwischen Israel und dem Iran spitzt sich erneut zu. Die USA veranlassten am Mittwoch, diplomatisches Personal aus dem Irak abzuziehen. Familienangehörige im Nahen Osten stationierter US-Soldaten wurden zur freiwilligen Ausreise aufgerufen. Dies geschehe, weil die Region «ein gefährlicher Ort sein könnte», wie US-Präsident Donald Trump am Mittwoch vor Journalisten sagte. Anlass der Massnahme soll unbestätigten US-Medienberichten zufolge die Furcht vor einem bevorstehenden israelischen Angriff auf den Iran sein.
In Israel setzten die Medien aber zunächst einen anderen, innenpolitischen Schwerpunkt: Am Mittwoch hatten Oppositionspolitiker einen Antrag zur Auflösung der Knesset, Israels Parlament, stellen wollen. Zur Debatte stand, ob die ultraorthodoxen Parteien aus der Regierung von Benjamin Netanjahu den Antrag stützen und damit die Koalition stürzen würden. Die streng Religiösen geniessen eine Befreiung von der in Israel geltenden Wehrpflicht. Das Oberste Gericht hat diese Ausnahme aber für rechtswidrig erklärt und fordert eine Gesetzesänderung, die nach 20 Monaten Krieg immer mehr Stimmen aus Netanjahus Regierung unterstützen.
Am Donnerstagmittag lehnte die Knesset den Auflösungsantrag ab, ein neuer kann somit erst in sechs Monaten gestellt werden. Und so verschob sich der Fokus der Aufmerksamkeit vollständig auf die Spannungen mit dem Iran, innerhalb wie ausserhalb Israels. Wie unter anderem die New York Times mit Verweis auf US-amerikanische und europäische Beamte berichtet, könnte Israel «bald» einen Angriff auf den Iran starten. Wobei unklar sei, wie umfassend ein solcher Angriff ausfallen würde.
Sicher ist aber: Innerhalb Israels herrscht ein lagerübergreifender Konsens für einen Angriff auf das iranische Atomprogramm, den auch Sicherheitsexperten unterstützen. «Die Islamische Republik Iran war noch nie so verwundbar wie heute. Israel muss dieses Zeitfenster nutzen, um die nukleare Bedrohung aus Teheran zu entschärfen», schreiben etwa Amir Eshel, Ex-Chef der israelischen Luftwaffe, und Eyal Hulata, ehemaliger nationaler Sicherheitsberater in der Regierung von Jair Lapid und Naftali Bennett, die im Juni 2022 nach nur einem Jahr gescheitert war.
Lapid, mittlerweile Oppositionsführer, war es auch, der nach dem letzten Angriff Israels auf den Iran Ende Oktober Netanjahus Zurückhaltung kritisiert hatte. «Wir hätten einen viel höheren Preis vom Iran fordern können und müssen», schrieb der Mitte-links-Politiker am Morgen danach auf der Plattform X: «Der Iran ist der Kopf der Achse des Bösen und muss einen hohen Preis für seine Aggression zahlen.» Der israelische Schlag war damals die Vergeltung für den iranischen Angriff auf Israel zwei Wochen zuvor gewesen. Dabei hatte das Regime in Teheran rund 200 ballistische Raketen geschickt.
Die hochexplosive Lage fiel zusammen mit der Schlussphase der US-Präsidentschaftswahl. Die damals noch von Joe Biden geführte US-Regierung musste fürchten, dass eine Eskalation in Nahost kurz vor dem Wahltag alle Umfragen durcheinanderbringen würde. Entsprechend erleichtert fielen die internationalen Reaktionen aus, als Israel weder Atom- noch Ölanlagen ins Visier nahm. Genau diese Zurückhaltung aber stiess innerhalb Israels auf Kritik.
Das Vorgehen damals zeigte einmal mehr, dass Netanjahu nicht per se die Eskalation bevorzugt. Seit mittlerweile 20 Jahren droht er dem iranischen Regime mit einem entschlossenen Angriff. Gleichzeitig wartete der israelische Langzeitpremier immer wieder sehr lange ab, ehe er den anhaltenden Forderungen aus der Armee und dem Sicherheitsapparat nachkam und Militärschläge anordnete.
Auch als im vergangenen September im Libanon Tausende Pager und Funkgeräte explodierten, rumorte es innerhalb der israelischen Regierung. Damals wollte Netanjahu seinen Verteidigungsminister Joaw Galant, wie er selbst Mitglied der Likud-Partei, absetzen. Galant hatte sich vehement für ein Ende der Wehrdienst-Ausnahmeregelung für die Ultraorthodoxen eingesetzt, ausserdem schon gleich nach dem Hamas-Angriff am 7. Oktober 2023 zu einem härteren Vorgehen gegen die Hisbollah als iranischem Proxy gedrängt.
Mittlerweile musste Galant gehen, der innenpolitische Streit über die Wehrpflicht aber ist geblieben. Zusätzlich aufgeladen wird die Lage in Israel durch die zunehmende Kontroverse über den Gazakrieg. Das rechtsextreme Lager droht damit, die Koalition zu verlassen, sollte sich Netanjahu auf ein neues Abkommen über eine Waffenruhe einlassen. Und die Angehörigen der noch verbliebenen weniger als 25 lebenden Geiseln werfen ihm vor, das Leben ihrer Liebsten für seinen Machterhalt zu opfern. Druck kommt auch aus den USA, wiederholt soll Donald Trump von Netanjahu verlangt haben, den Krieg so schnell es geht zu beenden.
Auch von diesem Dilemma lenken die Spannungen mit dem Iran ab. Unter Trump bemühen sich die USA aktuell noch um eine diplomatische Lösung, um die iranische Urananreicherung einzudämmen, zum Frust Israels. Denn durch den Regimesturz in Syrien im Dezember hat sich Israel neue strategische Vorteile verschafft. Wie etwa der israelische Journalist Joaw Zitun für das Medienportal ynet analysiert, hat Israel durch eine Vielzahl von Luftangriffen «einen Grossteil des ausgeklügelten und engmaschigen syrischen Luftabwehrnetzes» zerstört und sich dadurch einen «strategischen Korridor zum Iran» geschaffen. Wie Zitun aber auch schreibt, bräuchte Israel für einen umfassenden Angriff auf die iranischen Atomanlagen die Unterstützung der USA. «Israelische Piloten müssten fast 2'000 Kilometer feindlichen Luftraums durchqueren, befestigte und tief vergrabene Anlagen angreifen und sicher zurückkehren» – im Alleingang sei das für Israel nicht zu schaffen.
Bereits Anfang der Woche hatte die Zeitung Ha'aretz berichtetet, dass die USA bisher keine Zustimmung für einen solch umfassenden Angriff geben. Am Montag hatten Netanjahu und Trump dazu telefoniert. Seitdem verschärft sich zwar Trumps Ton, etwa erklärte er, der Iran müsse mit «extrem gefährlichen» Konsequenzen rechnen, sollte er sich einem neuen Atomabkommen verweigern. Wie die Nachrichtenagentur Reuters aber meldet, will sich der US-Sondergesandte Steve Witkoff am Sonntag im Oman mit dem iranischen Aussenminister Abbas Araghtschi treffen. Vorab, heisst es, soll Witkoff mit Netanjahu sprechen.
Insgesamt kann Israel eigentlich keinen entscheidenden Angriff führen, solange die USA diesen nicht unterstützen. Möglich sind deshalb aktuell begrenzte Angriffe, die eher als symbolische Abschreckung dienen, inklusive neuer, eher symbolischer Reaktionsschläge des iranischen Regimes und seiner verbliebenen Proxys. Die jemenitische Huthi-Miliz, die seit Monaten regelmässig einzelne ballistische Raketen und Drohnen Richtung Israel schickt, erklärte etwa, für Vergeltungsangriffe vorbereitet zu sein. Vorsorglich haben die USA die Reisefreiheit von Regierungsbeschäftigten in Israel beschränkt. Mitarbeitende und ihre Angehörigen dürfen sich nur noch in den Grossräumen Tel Aviv, Jerusalem und Be'er Scheva aufhalten. Die Regelung gelte bis auf Weiteres, heisst es.
Dieser Artikel wurde zuerst auf Zeit Online veröffentlicht. watson hat eventuell Überschriften und Zwischenüberschriften verändert. Hier geht’s zum Original.